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Kapitel 4 Baubudget Problem

4. Baubudget-Überladung: Zu viel wollen, zu wenig haben

BauWesen Besonderheit und Dynamik von Bauprojekten Kapitel 4

BauWesen Besonderheit und Dynamik von Bauprojekten Kapitel 4

 Baubudget passt nicht zu Bausoll.Das ist das schlimmste Übel beim Bauen.

Das Wollen und Wünschen geht immer an die Grenzen des Budgets. Diese Grenzen sind unsichtbar. Sie zu übertreten ist schädlich und kostspielig.

Jedes Produkt, mit dem wir öffentlich sichtbar werden, ist viel mehr als nur ein Gebrauchsartikel. Alle sehen es. Wir können damit zeigen, wer wir sind. Unser sichtbarer Besitz bestimmt, wie wir von unseren Mitmenschen wahrgenommen werden.
Durch Kleidung, Accessoires oder Fahrzeuge kann diese Wahrnehmung beeinflusst werden. Viele Menschen geben dafür viel Geld aus. Ein Haus als Besitz gilt als mindestens so prestigeträchtig und öffentlich wirksam wie Kleidung, Schmuck und ein Automobil. Das Bauwerk steht dabei für das soziale Prestige und die Identität einer Gruppe von Menschen (z. B. Familie), einer Organisation oder eines gesamten Unternehmens.

Bausoll passt nicht zu Baubudget

Bausoll passte nicht zu Baubudget

Schafft sich ein einzelner Mensch etwas Prestigeträchtiges an, so rücken funktionale und rationale Überlegungen in den Hintergrund. Die Wirkung beim Umfeld hat mehr Gewicht bei der Auswahl. Um diese Wirkung zu vergrößern und damit ein Stück mehr Ansehen zu erwerben, verschuldet er sich gerne bis an die Grenzen seiner finanziellen Möglichkeiten. Das Gefühl, dann mehr als der Nachbar oder die Kollegen zeigen zu können, ist es wert. Man muss für die damit verbundenen Belastungen und Risiken persönlich im weiteren Leben selbst geradestehen.
Schafft sich eine große Organisation oder Firma einen prestigeträchtigen Firmensitz an, gibt es diesen einzelnen, eindeutig Verantwortlichen nicht. Keiner muss persönlich die Last und die Risiken von Entscheidungen lebenslang tragen. Die Folgen von Anschaffungen werden sozialisiert. Was einer aus der Gruppe zu viel bestellt, zahlen alle andere mit. Wer widersteht dann schon der Versuchung auf Kosten anderer einmal richtig aus dem Vollen zu schöpfen.
Wenn schon einzelne Menschen für Prestige ihr Budget überziehen und Überschuldung in Kauf nehmen, wird bei Gruppen von Anspruchstellern mit Entscheidungsstrukturen ohne langfristige Verantwortlichkeit alles noch gravierender. Der Druck des »Mehr-Wollens« ist höher und Entscheidungen werden riskanter. Der ganze Prozess der Findung, was man will und tatsächlich erwirbt, ist kompliziert und fehleranfällig. Die Gruppendynamik kann zu Ergebnissen führen, die eigentlich niemand wollte. Alle, die mitreden können, werden zu Mitwünschern. Die Hemmung und Zurückhaltung fällt mangels direkter Verantwortlichkeit für die Folgen weg. Bei Gebäudeprojekten wird damit der Überschuss an Wollen und Wünschen tendenziell sehr groß. Erschwerend dabei sind Inkonsistenzen von Wünschen unterschiedlicher Interessengruppen. Widersprüchliche Forderungen an ein und demselben Gebäude zu realisieren kostet extra viel und geht am Ende doch nicht. Kein Baubudget ist dann mehr realistisch.
Der Bauherr sieht sich also in der Regel mit einem Wunschzettel-Szenario konfrontiert. Alle schreiben auf, was sie sich wünschen. Die Aussicht auf ein neues Gebäude bietet für alle die Möglichkeit, sich innerhalb der Organisation bzw. des Unternehmens sichtbar besser zu positionieren. Alte Ungerechtigkeiten bei der Raumzuteilung und -ausstattung können korrigiert werden. Wer im bisherigen Gebäude schon Privilegien hatte, wird diese als seinen Besitzstand mit allen Mitteln verteidigen. Es geht also gar nicht um das Gebäude selbst, sondern um die Bedeutung für die vielen daran beteiligten Menschen. Das treibt die Baukosten systematisch über das Baubudget hinaus.

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