Um komplexe Systeme einfach einordnen zu können, sind Versionsnummern gebräuchlich geworden. Web 1.0 und Web 2.0 sind das bekannteste Beispiel. Die erste Ziffer zeigt einen Generationssprung an. Mit der zweiten Ziffer können Fortentwicklungen und Reifungen innerhalb einer Generation angezeigt werden. Mit dieser Systematik soll nun das BauWesen beschrieben werden. Welche Generationssprünge es im BauWesen gibt und was sie für die für die Bauakteure, Betreiber und Nutzer bedeuten, wird über Interviews deutlich.
Leider verdient das aktuelle deutsche BauWesen als Generation nur die Ziffer »null«, denn es ist kein gutes BauWesen. Ihm fehlt das Grundlegende für die Generation Version 1.x, d. h. die systematische Ausrichtung auf Einhaltung von Terminen und Budget. Werden in der Regel Termin und Budget gehalten, so zeigt die Versionsnummer nach der »1« die mittlere Effizienz und die Qualität der Bauprojekte an.
Das Bauwesen eines hoch industrialisierten Landes sollte darauf ausgerichtet sein, dass die Bauprojekte seiner Bürger, der Wirtschaft und seiner Körperschaften möglichst sicher und effizient errichtet und betrieben werden können. In Deutschland ist dies nicht so. In Kapitel 2 wurde dies gezeigt. In Deutschland können Bauprojekte hingegen sehr sicher und einfach zum Schaden anderer und der Allgemeinheit missbraucht werden. Das geht bei BauWesen Version 1.0 und höher nicht mehr.
Deutsches BauWesen = BauWesen Version 0.9
Die Ziffer »9« beim BauWesen Version 0.9 zeigt an, dass ein Maximum erreicht wurde und ein Generationsschritt ansteht. Ein Generationswechsel ist überfällig. Da der Staat das BauWesen in Deutschland kontrolliert und organisiert, muss auch er einen Generationswechsel wollen. Alle Versuche, ohne einen Generationswechsel etwas zu verbessern, sind reine Kosmetik, Ablenkung oder fruchtloser Aktionismus nach dem Motto »irgendwas muss man ja tun«. Sie sind Zeitgewinn, um noch länger so weiter machen zu können wie bisher. Wir werden später auf eine solche Übung eingehen, die von der Bundesregierung in Form einer Reformkommission veranstaltet wird, die 2,5 Jahre braucht, um ein weiteres Handbuch zu machen.
Bevor wir uns dem zuwenden, wollen wir zuerst verstehen, was erfahrene Baubeteiligte heute beim Bauen erleben. Wie wirken sich die Mechanismen, die in Kapitel 2 beschrieben wurden, auf sie aus? Wie sehen sie die Lage und wie gehen sie damit um?
Zuerst soll ein erfahrener Planer für Gebäudetechnik zu Wort kommen, der auch speziell auf dem Gebiet der Energieeffizienz forscht und lehrt.
»Wir brauchen ein neues, zeitgemäßes BauWesen«
Prof. Dr. Werner Jensch, München
Seit 30 Jahren bin ich als Planer im Bauwesen tätig – eine hochinteressante, erfüllende und spannende, aber auch überaus riskante Tätigkeit für Unternehmer in dieser Branche. Nun – man neigt mit den Jahren dazu, die Vergangenheit zu verklären. Aus meiner Sicht ist aber eindeutig erkennbar, dass insbesondere in den letzten fünf Jahren viele und dabei vorwiegend große oder innovative Bauvorhaben zunehmend aus dem Ruder laufen und ihr Unwesen treiben.